Dissens

Widerstand ist ein Kooperationsangebot

Bild: Julia Rupprecht

Bild: Julia Rupprecht

In einer kollegialen Supervision hat mir mein Kollege Matthias Beckmann einen Satz mit auf den Weg gegeben, der mich in seiner Radikalität nachhaltig beeindruckt hat:
»Widerstand ist ein Kooperationsangebot«

Der Satz steht seitdem auf einem Post-it und hängt an meinem Schreibtisch. Er erinnert mich daran, auch die mitunter schwierigen Kommunikationssituationen im Alltag freudig anzunehmen. Denn wenn man diesen Satz vollkommen ernst nimmt - und das meine ich mit radikal - können sich die Perspektive auf Kommunikation und der Umgang schwierigen Situationen grundlegend verändern.


Viele Leute sind heutzutage kommunikativ sensibel und geschult. Wir wissen mit schwierigen Situationen umzugehen, kooperativ zu handeln, deeskalierend zu wirken und lösungsorientiert zu diskutieren. Widerstand ist dabei aber häufig das Unerwünschte, das die Kommunikation stört. Deshalb sind wir darauf bedacht Widerstand, Meinungsverschiedenheiten oder gar Auseinandersetzungen zu vermeiden oder möglichst schnell zu lösen, damit alles wieder »gut« ist. Was passiert aber wenn wir Widerstand nicht mehr als Störung begreifen? Was passiert wenn wir ihn würdigen und feiern?

Was bedeutet Widerstand eigentlich?
Zunächst zeigt Widerstand, dass eine Sache einen anderen Menschen emotional betroffen macht. Es zeigt, dass er / sie einen inneren Widerspruch erlebt, der so wichtig ist, dass er / sie ihn öffentlich kundtut. Widerstand zeigt also, dass der / die Andere beteiligt ist und etwas will. Und das ist gut so! Gleichzeitig bedeutet es in der Regel auch, dass ein Mensch nicht den von uns gedachten Weg mitgehen kann. Deshalb ist Widerstand wie ein Stop-Signal. Es zeigt, dass etwas gerade nicht passt. Und darin liegt gemeinsames Entwicklungs- und Lernpotential. Deshalb wirft Widerstand Fragen auf. Fragen danach, wie es neu und anders gedacht sein kann und wie alle Beteiligten dabei eingebunden sein können.

Es geht also nicht darum den Widerstand zu hören, nur um möglichst schnell wieder Konsens herzustellen. Nein, im Widerstand liegt das Potential für etwas Neues. Etwas gemeinsames Neues, wo Meinungen, Positionen, Beobachtungen, Bedürfnisse, Gefühle und Erwartungen ernst genommen werden. »Ernst nehmen« darf dabei keinesfalls eine Floskel sein. Denn es bedeutet einen Austausch darüber anzustoßen auch wenn der mitunter wahnsinnig anstrengend, unangenehm und aufreibend sein kann. Er kann mit heftigen Gefühlen und Auseinandersetzungen verbunden sein. Es bedeutet nicht, dass Widerstand etwas Schönes sein muss. Es ist aber in jedem Falle etwas Natürliches und vor allem etwas Notwendiges.

Zusammenfassung: Widerstand, Kritik und Konflikt sind in Kommunikation ein ganz natürliches Phänomen. Der Satz »Widerstand ist ein Kooperationsangebot« ruft dazu auf, schwierige Situationen als etwas grundlegend Positives zu begrüßen, um das Entwicklungspotential des Dissens zu nutzen.