Ziele

In der Summe meiner Durchschnittlichkeiten...

„In der Summe meiner Durchschnittlichkeiten bin ich fast schon wieder außergewöhnlich.“

Dieser Satz steht auf einem Post-it und klebt auf meinen Unterlagen. Ich zeige ihn meinem Kollegen Malte. Lachend bemerkt er, ich könne den Satz gut und gerne auf ein T-Shirt drucken, da er so vielschichtig und originell wäre. Es muss nicht gleich ein T-Shirt sein, aber Maltes Hinweis ermutigt mich, meine Gedanken dazu in einem kleinen Text zusammenzufassen.

Bild: Julia Rupprecht

Bild: Julia Rupprecht

Der Satz begleitet mich nun schon einige Jahre. In meiner Erinnerung ist er von mir. Ich weiß zumindest nicht von wem ich ihn sonst habe. In diesem Satz steckt eine gewisse Sehnsucht. Die Sehnsucht etwas Besonderes zu sein: Für jemanden. Wegen etwas. Weil man ist. Die Sehnsucht die eigene Einzigartigkeit zu erfahren, darin gesehen zu sein und Anerkennung zu finden. Ich glaube den meisten ist dieses Gefühl schon einmal begegnet. Gleichzeitig zeigt der Satz die eigene Normalität, die eigene Gewöhnlichkeit und auch Begrenztheit. Das ist nicht schlimm. Es ist einfach, auf eine dem Leben inne wohnende Art und Weise. Es ist wie die ironische Randnotiz der eigenen Menschlichkeit und des eigenen Lebens.


Als Trainerin kann ich mich nun fragen, ob es nicht sogar mein Job ist, Menschen dabei zu helfen ihre Durchschnittlichkeiten zu überwinden, um immer außergewöhnlicher zu werden.
Das Gefühl eines Defizits ist ja meist der Auslöser ein Training machen zu wollen. Menschen kommen also zu mir mit dem Wunsch etwas besser zu können. Der Ansporn ist dabei häufig eine Mittel-Zweck-Relation, also ein „besser-um“.
„Ich möchte besser präsentieren, um meine Produkte erfolgreicher zu verkaufen.“
„Ich möchte eine klangvollere Stimme, um in Gesprächen stärker zu führen.“
„Ich möchte (…), um (…)“

Wir sind häufig von Zielen und Zwecken getrieben. Das ist per se nicht schlecht und verhilft sicherlich zu einer hohen Leistungsfähigkeit. Manchmal stelle ich mir jedoch die Frage, woher jemand die persönliche Motivation nimmt ein solches Ziel zu formulieren und als das Eigene zu propagieren. Ist es eine innerlich empfundene und stimmige Motivation?

Im Extremfall machen sich Menschen dabei selbst zu Objekten: Sie erheben Daten über sich, um sich selbst und die eigenen Verhaltensweisen zu vermessen. Ziel ist die Ableitung von Maßnahmen um irgendetwas effizienter, effektiver und besser zu machen. In meinem Bekanntenkreis habe ich einen bekennenden Selbstoptimierer. Ich bin jedes mal auf’s Neue fasziniert, was Flo anscheinend alles trackt, erhebt, untersucht und optimiert. Flo ist Vorreiter und Vordenker der Quantified Self-Bewegung und es scheint für ihn gut zu sein und zu funktionieren. Ja und auch ich bemerke eine gewisse Neugier und weiß doch, dass das Quantified Self keine Option für mich darstellt: Als Wissenschaftlerin weiß ich wie komplex der Umgang mit Daten, ihre Auswertung und Interpretation ist. Als Trainerin und Coach weiß ich wie komplex und vielschichtig persönliche Veränderungsprozesse und deren Steuerung sind. Als Mensch stelle ich mir die Frage, welche gelebte Konsequenz und Veränderung in meinem Leben entstehen soll, so dass ich mich in einer resonanten Weltbeziehung befinde. So dass ich die Welt zum Antworten bringe, weil ich da bin: Wie entsteht also Sinnhaftigkeit zwischen mir und der Welt? Das ist für mich die wesentlich spannendere Frage…

Wenn ich mir nun also wieder die Frage stelle, ob es als Trainerin nicht mein Job ist, Menschen dabei zu helfen ihre Durchschnittlichkeiten zu überwinden, um immer außergewöhnlicher zu werden, kann ich also getrost antworten: Ach, lasst mal die Leute so sein wie sie sind. Doch bitte nicht missverstehen! Das ist keine Ablehnung von Qualifizierung oder Weiterentwicklung. Ganz im Gegenteil. Es ist nur aus einer anderen Perspektive gedacht. Und diese Perspektive heißt für mich Enrichment und Empowerment.
Unter Enrichment verstehe ich eine Anreicherung und Ausgestaltung der eigenen Person.
Unter Empowerment verstehe ich eine Erweiterung der eigenen Handlungsmächtigkeit und Autonomie. Daraus kann Selbstwirksamkeit und Verantwortung erwachsen. Konsequent gedacht, resultiert daraus eine Ruhe mit dem wie ich gerade bin. Ich darf so sein. Niemand sagt mir, was das vermeintliche Optimal ist. Denn „optimal“ ist eine Konstruktion. Es existiert nicht. Es gibt keinen fertigen oder optimalen Zustand.

Bild: Julia Rupprecht

Bild: Julia Rupprecht

Entscheidend ist: Was ich mir jetzt erarbeite, ist…
…eine Anreicherung meiner Kompetenzen,
…eine Erweiterung meines Handlungsrepertoires,
…ein neuer Blickwinkel,
…eine neue Position,
…ein neues Gedankengebäude,
…eine veränderte innere Haltung,
…eine Verschiebung in der gefühlten Bedeutung.

Und damit bin ich in Zukunft auf eine neue Weise handlungsfähig. Ich kann’s aber auch genau so machen wie ich es schon immer gemacht habe.
Oder anders gesagt: Dass das Vorhergehende ausgelöscht wäre, ist sowieso nur eine Illusion.
Es existiert im Neuen fort. Ich habe also „nur“ meinen eigenen Möglichkeitsraum erweitert.
Und damit gehe ich von Situation zu Situation.

„In der Summe meiner Durchschnittlichkeiten bin ich fast schon wieder außergewöhnlich.“
In mir spüre ich dieses kleine innere Schmunzeln und denke mir: oh ja.

Zurück zu Malte: Ich hab’ mal überlegt, warum ich finde, dass Malte ein spannender und inspirierender Mensch ist. Neben seiner guten Intuition, seinem scharfen Geist und seiner herzlichen Direktheit ist es vor allem ein Gefühl, das sich mir vermittelt: Das Gefühl, dass Malte da wo er ist, angekommen ist. Aber ohne je stehen zu bleiben.

PS: Nochmal zur Frage, ob es als Trainerin nicht mein Job ist, Menschen dabei zu helfen ihre Durchschnittlichkeiten zu überwinden, um immer außergewöhnlicher zu werden… Mit einer Portion selbstironischer Ehrlichkeit muss ich sagen: Wahrscheinlich bin ich selbst viel zu durchschnittlich dafür. Aber für die Menschen, für die ich einen Unterschied bewirken kann, tu ich es gerne.

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Kann das weg oder ist das bereits transferiert?

Unter Transfer versteht man die Übertragung erlernter Fähigkeiten und Fertigkeiten auf andere, vergleichbare Situationen. Transfer wird somit als ein Kennzeichen für erfolgreiche Lernprozesse gesehen. Gerade wenn es um die Aneignung von Fertigkeiten geht, werden während eines Trainings oder Coachings meist sehr gute, jedoch kurzfristige Erfolge erzielt. Viele berichten im Anschluss, dass es Ihnen aufgrund ihrer alltäglichen Gewohnheiten sehr schwer fällt, die Ziele, Maßnahmen und das veränderte Verhalten in den Alltag zu integrieren und tatsächlich anzuwenden. Das macht jedoch die Güte eines nachhaltigen Trainings aus.

Das Zürcher Ressourcen Modell als eine Möglichkeit Transfer zu unterstützen
Mit Hilfe des Zürcher Ressourcen Modells soll diese Übertragung in den Alltag begünstigt und unterstützt werden. Das ZRM ist ein psychoedukatives Verfahren. Diese Selbstmanagement-Methode wurde von Maja Storch und Frank Krause für die Universität Zürich entwickelt. Dabei werden Menschen unterstützt, ihre Handlungssteuerung zu optimieren und ihre intrinsische Motivation für die Zielerreichung zu aktivieren. Menschen sollen also befähigt werden, ihre persönlichen Ziele in Handlungen umzusetzen. Das ZRM-Programm ist hinsichtlich seiner Wirksamkeit empirisch untersucht. So betrachtet das ZRM, Psyche und Körper als eine Einheit und arbeitet deshalb multimodal. Es integriert die Arbeit mit Körper, bildhaftem Denken und Sprache und stärkt auf diese Weise die Ressourcen und die Motivation einer Person. In der Anschauung des ZRM sind die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist wechselseitig ausgestaltet. Sie können nur miteinander funktionieren. Man versucht dieses Zusammenspiel zu fördern, indem der Körper, bildhaftes Denken und Sprache zur Aktivierung von Ressourcen eingesetzt werden. Dies stärkt solche neuronalen Netzwerke, die zu einer erhöhten intrinsischen Motivation und somit zur Handlungsauslösung führen.

Ich selbst setze einzelne Elemente des ZRM zur Erweiterung und Nutzung der eigenen Ressourcen, sowie zur Transferunterstützung in Training und Coaching ein. So habe ich zusammen mit Caroline Frauer ein Transferprogramm für Stimmtechnik auf Basis des ZRM entwickelt. Außerdem nutze ich Elemente des ZRM für einen konstruktiven Umgang mit Lampenfieber und die Entwicklung einer förderlichen Haltung für Präsentationen, Gespräche und Lehre.

Hier ein Link zur offiziellen Seite des ZRM: http://www.zrm.ch/

Zusammenfassung: Transfer ist ein Kennzeichen für erfolgreiche Lernprozesse. Das Zürcher Ressourcen Modell ist eine Möglichkeit Transfer zu begünstigen. Durch das ZRM werden Ressourcen und die intrinsische Motivation einer Person gestärkt. Dazu werden die Aktivierung des Körpers, bildhaftes Denken und Sprache eingesetzt. Ich selbst verwende Elemente des ZRM vor allem in den Bereichen Stimmtraining, Lampenfieber, Präsentationtechnik, Gesprächsrhetorik und Lehre.

Auf welchem Weg zum Ziel?

Ziele sind für die Gestaltung des eigenen Lern- und Entwicklungswegs grundlegend. Ein gut formuliertes Ziel zeigt uns den angestrebten Zustand, der sich qualitativ vom momentanen unterscheidet: Wenn ich mein Ziel erreicht habe, dann weiß ich, verstehe ich und kann ich etwas besser. Aber wie formuliert man so ein gutes Ziel? ...so dass die Zielsetzung wirklich motivierend wirkt, und dass die Zielsetzung in einem guten Verhältnis zu den eigenen Fähigkeiten steht.

Deshalb möchte ich Euch exemplarisch zwei sehr unterschiedliche Arten der Zielformulierung vorstellen. Diese haben beide ihre Vor- und ihre Nachteile. Wenn man diese aber gegeneinander abwägt, kann man beide Zielarten gewinnbringend einsetzen.

Das konkrete und spezifische Ziel: SMART
Viele kennen das Akronym SMART aus dem Bereich des Projektmanagements. Dabei wird ein Ziel auf fünf Ebenen formuliert:
S = spezifisch, d.h. das Ziel muss eindeutig definiert sein
M = messbar, d.h. es muss Kriterien geben, an denen ich erkenne, dass ich das Ziel erreicht habe
A = akzeptiert, d.h. dass es als motivierend und erstrebenswert angenommen wird
R = realistisch, d.h. dass ein Ziel mit den gegebenen Fähigkeiten und Mitteln erreichbar ist
T = terminiert, d.h. dass ich einen klaren zeitlichen Rahmen habe, in dem das Ziel oder Meilensteine zu erreichen habe

Hier ein Beispiel für ein SMART-Ziel:
Bis kommenden Montag (T) schreibe ich auf Basis meine Literaturrecherche (R) 3 DIN-A4 Seiten für das Kapitel 2.4 (M) meiner Seminararbeit.

Da es sich um ein selbstgestecktes Ziel handelt, ist davon auszugehen, dass es akzeptiert (A) ist. Wenn man selbst Widerstände verspürt, sollte man dem Grund dafür nachgehen. Am Ende kann nochmal geprüft werden, ob die ganze Formulierung spezifisch (S) genug ist. Ansonsten muss nachgebessert werden.
Diese Art der Zielformulierung lässt sich sehr gut auf konkrete Aufgaben anwenden. Hier können Teilschritte operationalisiert werden, Prozesse miteinander abgestimmt und verknüpft werden. Ist das Ziel jedoch erreicht, muss das nächste unmittelbar formuliert werden. So entsteht meist eine Kaskade von Verhaltenszielen.

Das allgemeine und abstrakte Ziel: Mottoziel
Motto- oder Haltungsziele haben einen situationsübergreifenden Charakter. Das bedeutet, dass sie eher allgemein formuliert sind, und nicht ein konkretes Verhalten sondern eine innere Haltung betreffen. Aus psychologischer Sicht birgt das mehrere Vorteile: Sie werden als stärker zum Selbst gehörend erlebt und sind auch mit stärkeren Emotionen verbunden. Deshalb wirken sie motivierender als konkret formulierte Ziele. Da sie sich auf viele Lebensbereiche und Situationen übertragen lassen, werden sie meist auch als „unstillbare“ Ziele oder Identitätsziele bezeichnet. Sie können ihren richtungsweisenden Charakter für eine Person nämlich unter Umständen ein ganzes Leben lang behalten. Wichtig ist jedoch, dass das übergeordnete Haltungsziel immer wieder auf konkrete Situationen bezogen werden muss, da sich das daraus abgeleitete Verhalten von Situation zu Situation unterscheiden kann. Dies bedarf einer gewissen Reflexionsfähigkeit.

Hier ein Beispiel für ein Mottoziel:
Ich schreibe an meiner Seminararbeit mit Freude, Genuss und Ruhe.

Wenn man diese beiden Zieltypen zusammenbringt, gewinnt man folgende Erkenntnis: Ziele können in u.a. in zwei Dimensionen formuliert werden.

  • Situationsspezifisch vs. Situationsübergreifend

  • Verhalten vs. Haltung

Daraus ergibt sich eine Vierfeldertafel der Zielformulierung, an der man immer wieder überprüfen kann, mit welchem Zieltypus man gerade arbeitet. Es kann einem auch helfen zu reflektieren, welche Zielart man gerade braucht, um gut motiviert und mit Energie zum eigenen Ziel zu kommen.

Beispiel in der Vierfeldertafel: Verbesserung der Durchsetzungsfähigkeit
 

Vier Zieltypen, Quelle: eigene Darstellung

Vier Zieltypen, Quelle: eigene Darstellung

Quelle: Storch M. et al. (2010): Embodiment, Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Bern: Verlag Hans Huber.