Entwicklungsperspektive

Zauberwort: Selbstverwirklichung

Begriffe wie z.B. Selbstverwirklichung, Potential, Ressource, Kongruenz, Ganzheitlichkeit und Autonomie erscheinen uns heute in der Kommunikationspsychologie so selbstverständlich. Sie haben in der gleichen Selbstverständlichkeit Eingang in das alltägliche Streben, Handeln und Sprechen gefunden. Und doch sind wir uns nicht mehr ganz bewusst, wo diese Begriffe ihre Wurzeln haben: in der Humanistischen Psychologie.

Ihrem Anspruch nach trägt die Humanistische Psychologie dazu bei, dass sich gesunde, sich selbst verwirklichende und schöpferische Persönlichkeiten entfalten können. Weltanschauliche Wurzeln hat die Humanistische Psychologie vor allem im säkularen Humanismus und darauf aufbauend im Existentialismus und in der Phänomenologie.
Die Humanistische Psychologie startete als Protest- und Gegenbewegung in den 1960er. Eine Gegenbewegung zu den vorherrschenden psychologischen Paradigmen, Tiefenpsychologie und Behaviorismus, die als deterministisch und reduktionistisch betrachtet wurden. Auch die allgemeinen politische und gesellschaftliche Situation der 1960er Jahre bestärkte die humanistische Psychologie in ihrem zentralen Anliegen. Sie verstand sich selbst als sogenannte „Dritte Kraft“, in deutlich formulierter Abgrenzung zu den anderen beiden Richtungen. Wichtige und bekannte Vertreter der Humanistischen Psychologie sind Abraham Maslow, Carl Rogers, Ruth Cohen und Eric Berne.


Kernthesen der humanistischen Psychologie sind u.a.:

  • Das Individuum verfügt potentiell über unerhörte Möglichkeiten, um sich selbst zu begreifen und seine Selbstkonzepte, seine Grundeinstellung und sein selbstgesteuertes Verhalten zu verändern. Dieses Potential kann erschlossen werden, wenn es gelingt, ein klar definiertes Klima förderlicher psychologischer Einstellungen herzustellen.
  • Menschliches Existieren vollzieht sich in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Humanistische Psychologe studiert den Menschen in seinem zwischenmenschlichen Potential, als soziales Wesen und nicht isoliert von seinen sozialen Bezügen.
  • Der Mensch lebt bewusst. Ein Wesensmerkmal des Menschen ist es, dass er bewusst erleben kann, dass er Bewusstheit über sich selbst erreichen kann, unabhängig davon, wieviel dem Bewusstsein jeweils zugänglich ist. Diese Möglichkeit des bewussten Erlebens ist Grundlage und Voraussetzung dafür, menschliche Erfahrungen überhaupt verstehen zu können.
  • Der Mensch ist in der Lage zu wählen und zu entscheiden. Unabhängig von der Diskussion, ob der menschliche Wille frei ist, ist die Möglichkeit der Wahl ein phänomenologisches Faktum. Dadurch kann der Mensch sein aktuelles Sein und seinen aktuellen Zustand überschreiten und sich wandeln.

Die Humanistische Psychologie hat damit auch die „Therapie für den Normalo“ salonfähig gemacht. Denn aus einer defizitären Perspektive wurde eine Entwicklungsperspektive. Die Lern- und Entwicklungsfähigkeit des Menschen wurde somit als gegeben anerkannt. Dadurch haben sich zunehmend Trainings- und Coachingangebote etabliert, die heute als Selbstverständlichkeit angesehen werden und einen ganzen Weiterbildungsmarkt darstellen. Doch die Humanistische Psychologie wollte dies sicherlich nicht im Sinne einer Selbstoptimierung verstanden haben, da die innere Stimmigkeit und Kongruenz als maßgebliche Maxime der eigenen Entwicklungsrichtung gesehen wird.


Der folgende Vortrag von Prof. Friedemann Schulz von Thun zu Ehren von Ruth Cohen beinhaltet viele schöne Gedankenanstöße und Reflexionsimpulse. Viel Vergnügen beim Anschauen!